Wahlbeobachter in Germering

03.03.2008 – 09:41

Wie angekßndigt, habe ich mit map zusammen gestern abend die IT-gestßtzte Auszählung in Germering beobachtet.

Am frĂźhen Nachmittag begannen wir, uns in Wahllokalen (Stadthalle, Wittelsbacher Schule, Kirchenschule) vorzustellen und anzukĂźndigen, dass wir abends gerne kurz vorbeikommen mĂśchten. Gleichzeitig wollten wir die Gelegenheit nutzen, die EDV-Wahlhelfer beim Aufbau der IT zu beobachten.
In dieser Zeit haben wir ca. 20 von 41 Wahllokalen besucht, mit gemischten Ergebnissen.

In mindestens der Hälfte der Fälle begegnete uns mal mehr, mal weniger starke desinteressierte Belustigung (“Ach, kommt jetzt die OSZE auch schon zu uns?”), zweimal war man eher misstrauisch und wollte wissen, ob dies mit dem Rathaus abgesprochen sei (es wußte aber immer mindestens ein Helfer, dass Wahl und Auszählung Ăśffentlich sei - man stritt sich dann eher intern und sagte zu uns: “Wenn es denn sein muss!”).

In einem Wahllokal war der stellvertretende Wahlvorstand ein mindestens so großer Kritiker wie wir, er schimpfte auf das System, insbesondere auf die nicht transparente Gesamtberechnung und das Betriebssystem:

“wenn’s den Schmarrn scho wollen, dann g’hĂśrt da a Linux auf CD hin, von dem man bootet, und das gesamte System muss vorab im Sourcecode runterladbar sein!”

Er bezeichnete die händische Auszählung der Kommunalwahl zwar als “Scheissjob”, die Risiken der IT-LĂśsung seien aber zu groß, um die Vorteile aufzuwiegen.

In einem Wahllokal begegnete man uns anfänglich eher freundlich-desinteressiert, bis dann eine Helferin bemerkte, es gäbe da doch so eine Organisation oder einen Verein, die da was in die Richtung machen würden, wie hießen die denn noch gleich - als ich bemerkte, sie meine wohl den CCC, änderte sich die Haltung des stellvertretenden Wahlvorstands massiv:

“Also in diesem Fall mĂśchte ich Sie doch bitten, dass Sie sich vorab ans Rathaus wenden.”

Ich entgegnete, wir stünden bereits seit längerem mit dem Rathaus in Kontakt, die Beobachtungen seien abgesprochen. Er begann, darüber zu schimpfen, dass er nicht informiert sei und verlangte, dass wir den Wahlleiter kontaktieren, damit dieser ihm das OK gäbe. Wir ließen ihn mit der Bemerkung allein, er könne sich gern mit dem Wahlleiter abstimmen, wir würden am Abend dann vorbeikommen. Kurz darauf sahen wir ihn mit Handy am Ohr und empörtem Gesichtsausdruck an uns vorbeiziehen.

Allgemein hatte man den Eindruck, dass einige Leute vom Rathaus vorab auf unseren Besuch vorbereitet wurden. In 2-3 Fällen wurde man beim Stichwort Wahlbeobachtung oder IT-gestßtzte Auszählung ungewÜhnlich offiziell, aber sehr freundlich, und beeilte sich zu versichern, wir kÜnnen jederzeit vorbeikommen, die Auszählung sei ja Üffentlich, man sei sich sicher, wir wßrden in der Praxis sehen, welche Vorteile das System bringe.

In ca. 3/4 der besuchten Wahllokale hatten wir die Gelegenheit, mit den Helfern Ăźber unsere Motive und Bedenken zu diskutieren. Es war klar, dass wir bei diesen Leuten nicht mit Argumenten Ă  la “Das ist eine LĂśsung, die ein Problem sucht” anfangen mussten, denn die Helfer erhofften sich durchweg hohe Zeitersparnis und einfachere Auszählungen. FĂźr die Wahlhelfer ist das System eindeutig die LĂśsung eines Problems, das sie alle paar Jahre wieder haben.

Stattdessen konzentrierten wir uns darauf, unsere Vorbehalte zur Sicherheit des Systems darzulegen und die Aufmerksamkeit dafĂźr zu wecken, inwieweit das, was der Computer am Schluss als Ergebnis auswirft, vertrauenswĂźrdig sei.

Ich persönlich war erstaunt, wie viele Leute für diese Argumente empfänglich waren - sehr häufig konnten wir bei den Helfern die Überzeugung wecken, dass das verwendete Programm doch zumindest vorab von einer interessierten, unabhängigen Gruppe sowie der Bevölkerung getestet werden müsse.

Als Pro-IT Argument war sehr häufig zu hĂśren, dass die Handauszählung extrem fehleranfällig sei - eine Helferin (Informatikerin “mit CCC-Erfahrung”) meinte sogar, die Fehler glichen sich im Laufe des Abends nur deswegen aus, weil “alle Augen, egal ob schwarz, rot, grĂźn oder gelb, nachts um zwei auf Halbmast hängen”.

Einige Male war auch zu hĂśren, dass wir doch nicht ernsthaft erwarten, dass jemand eine Kommunalwahl fälscht, um einen “Depperljob” im Stadtrat zu machen (Zitat einer Stadträtin). Ich denke, wir konnten vermitteln, dass es zum einen nicht wirklich um die Wahrscheinlichkeit eines Fälschungsversuch ginge und sich zum anderen wohl jedes Mal genug “Deppen” fänden, die zum Teil auch vor unlauteren Motiven nicht zurĂźckschrecken (s. Dachau).

Zu den IT-Systemen bleibt nicht viel zu sagen. Diese wurden zwischen 12 und 15 Uhr aufgebaut, standen immer in Sichtweite der Helfer und waren nur selten bereits während der Wahl hochgefahren. Die USB-Sticks wurden nicht mit dem System ausgeliefert, sondern wurden den Wahlvorständen vom Wahlleiter am Morgen der Wahl zusammen mit den weiteren Unterlagen ausgehändigt. Die meisten Vorstände legten die Sticks während der Wahl anscheinend zu den weiteren Unterlagen, die meist unter oder neben den Tischen der Helfer standen.

Gegen 18 Uhr begann man zuerst mit der Auszählung der Bürgermeister- und Landratswahl. In dem Wahllokal, in dem wir diese beiden Auszählungen beobachteten, brauchte man für 266 abgegebene Stimmen jeweils ca. 10 Minuten sowie nochmals die gleiche Zeit zum Ausfüllen der Protokolle. Im Anschluss daran begannen die Helfer sofort, die Urnen des Stadtrats zu öffnen und die Stimmzettel zu öffnen und stapeln. Dies allein dauerte sicher 10 Minuten und sah äußerst mühsam aus - es stellt sich die Frage, ob Wahlbücher nicht einfacher zu handhaben wären.

Interessanterweise fand sich in einer Urne ein A4-Blatt mit politischen Parolen - es ist also einem Wähler problemlos gelungen, ein zusätzliches Blatt in die Urne zu schmuggeln.

Das Aufbringen der Identifikationsbarcodes fĂźhrte zur ersten Verwirrung, man wusste nicht, ob es verschiedene BarcodebĂśgen fĂźr Stadtrat und Kreistag gebe und entschloss sich dann, einfach die obersten Codes fĂźr die eine Wahl zu nutzen und bei der zweiten Wahl zumindest mit einem neuen Blatt zu beginnen.

Auch die ersten Kontakte mit dem Computer waren nicht ganz fehlerfrei: Die Software machte nicht genau das, was man lt. der Screenshot-basierten Anleitung zu erwarten hatte. Dies fĂźhrte zu einer VerzĂśgerung von ca. 10 Minuten, in der sich zwei Helferinnen sichtbar Ăźberfordert durch die drei Fenster klickten und versuchten, die verschiedenen Zahlen der Wahl (A1 und A2 Stimmen) an den falschen Stellen einzugeben. Mindestens eine der Beiden hatte nach eigener Aussage die EDV-Schulung besucht.

Das Einlesen der ersten Stimmzettel war anfänglich äußerst zäh - nur ca. jeder 10. Einleseversuch gelang, die Fehlbedienungen waren zahlreich (nicht geĂśffnet, nicht geschlossen, zu häufig eingelesen) - interessanterweise mischte sich bald die älteste Wahlhelferin des Lokal (Typ Bäuerin, Mitte 70) ein und erklärte den Anwesenden, dass der Barcodeleser zwar “scho a Schmarrn” sei, mit der richtigen Übung aber ganz gut zu bedienen sei.

Wir ermittelten anfänglich Werte von 2-5 Minuten pro Stimmzettel, die sich aber schon nach ca. 20 Stimmzetteln auf annehmbare Werte von 30 Sekunden - 2 Minuten reduzierten.

Andere Wahllokale waren sichtlich besser bestĂźckt mit kompetenten Wahlhelfern, die mit einem Durchsatz von bis zu 3 Stimmen pro Sekunde die Zettel einlasen.

Die korrekte Durchführung der Kontrolle war hierbei sehr unterschiedlich. Es gab Teams, die zu dritt oder viert das Auslesen beobachteten, sich jede Stimme laut vorlasen und mit OK quittierten. Andere saßen zu zweit vor dem Computer, beide mit den Augen auf dem Stimmzettel auf der Suche nach Stimmen, während der Barcodeleser sehr schnell vor sich hinpiepte und niemand auf den Bildschirm sah. Solche Szenen konnten wir bei ca. 1/3 der Wahllokale beobachten - mir persönlich war es hier nicht mehr möglich, mitzuverfolgen, ob das Einlesen der Stimmen korrekt erfolgte. Es kam sogar mehrmals vor, dass man erst nach dem fertigen Einlesen des Zettels bemerkte, dass bereits seit geraumer Zeit eine Fehlermeldung auf dem Bildschirm stand und alle Eingaben vom Computer nicht angenommen wurden (der Barcodeleser piept immer).

Wie zu erwarten haben wir kein einziges Mal den Fall beobachtet, dass ein Wahlhelfer im Laufe der Wahl die addierten Ergebnisse auf Validität ßberprßft.

Interessanterweise war die Zahl der kumulierten und panaschierten Stimmzettel um ein Vielfaches hĂśher, als wir dies vorher gesagt bekamen. Einige Wahlhelfer sprachen von 1/3 Partei, 1/3 kumuliert, 1/3 panaschiert, mir persĂśnlich kam der Anteil der komplexen Stimmzettel sogar noch hĂśher als 2/3 vor - selbst bei der Kreistagswahl mit 70 abzugebenden Stimmen.

Bereits gegen 20 Uhr zeichnete sich ab, dass die Auszählung sehr schnell beendet sein würde, und tatsächlich waren fast alle Wahllokale gegen 21:30, spätestens 22:00 Uhr mit dem Einlesen der Stimmzettel fertig und nur noch damit beschäftigt, die Zettel den verschiedenen Stapeln zuzuordnen, den E-Stapel durchzusehen und die Gültigkeit einzelner Stimmzettel zu beschließen oder Protokolle auszufüllen.
GegenĂźber der Endzeit frĂźherer Kommunalwahlen von “bis zu 3 Uhr morgens” war die Zeitersparnis tatsächlich sehr deutlich, auch wenn uns eine Helferin sagte, wer bis drei Uhr morgens auszähle, kĂśnne es einfach nicht. Mit der richtigen Organisation und einem fähigen Team sei man problemlos bei manuellem Auszählen bis Mitternacht fertig.

Noch ein kurzes Statement zu den Kosten: Wie mir die Bßrgermeisterkandidatin der Grßnen mitteilte, wurden die 100 neuen Rechner, die fßr die Wahl verwendet wurden, im Hinblick auf Weiterverwendung in einer Schule angeschafft und seien somit nicht als Kosten der elektronischen Auszählung zu werten. Die Kosten der Software belaufe sich fßr Germering auf 240,- EUR Lizenz- und Wartungskosten pro Jahr an die AKDB.

Mein Fazit:

Die Vorteile der Software wie Einfachheit der Auszählung und Schnelligkeit sind nicht von der Hand zu weisen und ßbertreffen teilweise sogar die Erwartungen der Rathausangestellten. Auch die Kostenaspekte kann man wohl eher vernachlässigen - selbst wenn man die Schulungen einrechnet, ist dies eine Summe, die bei weitem nicht an die Kosten einer NEDAP- oder Wahlstift-Wahl herankommt und noch gut zu vertreten ist.

Trotzdem bleiben unsere Argumente valide, seien es die etwas abstrakten Gefahren fehlerhafter oder manipulierter Softwarealgorithmen oder die bereits im Vorfeld vermuteten Verletzungen der Vorschriften des 4-Augen-Prinzips und des Nachprßfens. Diese waren in meinen Augen sogar schlimmer als erwartet, da ich nicht damit gerechnet hatte, dass EDV-unerfahrene Wahlhelfer einen solchen Durchsatz beim Einlesen der Stimmzettel erreichen kÜnnen. Wie erwartet vertrauen viele Wahlhelfer dem System nach kurzer Zeit blind und achten nur noch auf das Piepsen, aber nicht mehr darauf, welche Stimme tatsächlich gerade eingelesen wird.

Positiv Ăźberrascht war ich von der “Awareness”, die wir bei den Wahlhelfern wecken konnten. Mindestens die Hälfte konnte unsere Argumente verstehen, einige wollten sich im Anschluss sogar dafĂźr einsetzen, dass diese Software erst dann wieder genutzt werden dĂźrfe, wenn eine Zertifizierung und unabhängige PrĂźfung stattgefunden habe. Der oben genannte Kritiker der Software wollte so weit gehen, die ausgedruckten Protokolle nicht zu unterschreiben, weil er das Ergebnis nicht nachvollziehen kĂśnne. Wie dieser Fall ausgegangen ist, ist mir nicht bekannt.

Ich werde bewusst keine Nachzählung verlangen, da ich denke, wir schneiden uns damit ins eigene Fleisch. Durch eine korrekte Nachzählung bekommt das Verfahren eine Validierung, dies es nicht verdient.. Trotz zum Teil zu schnellem und schlampigem Einlesen rechne ich damit, dass die Ergebnisse bis auf wenige Ausreißer, die man dann nicht manuellen oder elektronischen Fehlern zuordnen kann, Ăźbereinstimmen. Dann ist der BevĂślkerung noch weniger zu vermitteln, dass die Gefahr dadurch nicht gebannt ist, sondern wir dieses Mal nur “GlĂźck” hatten, dass keiner fälschen wollte.

Die persÜnliche, mßhsame Kontaktaufnahme mit den Wahlhelfern, Politikern und Zuständigen im Rathaus bringt hier um einiges mehr. Der Frau an meiner Seite ist es als Wahlhelferin in ihrem Wahllokal gelungen, im Laufe des Abends alle Wahlhelfer davon zu ßberzeugen, dass das System dringend nachgebessert werden muss. Steter Tropfen hÜhlt den Stein.

  1. 7 Responses to “Wahlbeobachter in Germering”

  2. auch wenns nicht zum wahlhelfer gereicht hat ;) danke fuers beobachten und berichten.
    deine beobachtungen erinnern teilweise schon recht stark an die ereignisse bei der landtagswahl in hessen (technische ahnungslosigkeit, ablehnung gegenueber wahlbeobachtern,…).

    By marc on Mar 4, 2008

  3. Dass schludrig gearbeitet werden kann beim Auszählen, ist kein besonderes Merkmal der computergestĂźtzten Zählung. Man stelle sich nur vor, was beim manuellen Zählen alles an Ungenauigkeiten entstehen kĂśnnen… Auch Unklarheiten Ăźber das korrekte Vorgehen sind nicht umbedingt den Computern geschuldet.

    Dringend notwendig ist zuerst einmal, dass die Wahlhelfer bezĂźglich der Gefahren sensibilisiert und besser auf die Details der Technik vorbereitet werden. Hier wurde bei dieser Wahl eindeutig zu wenig gemacht bzw. es wurde falsch geschult. Wahlhelfer sind meiner Beobachtung nach häufig äußerst exakt und gewissenhaft bei der Einhaltung der Wahlvorschriften, aber der Computer wird noch zu sehr als Blackbox gesehen, die “irgendwie das tut, was man braucht”. Hier muss man Aufklärungsarbeit leisten, aber auch fĂźr mehr Transparenz und bessere ÜberprĂźfungsmĂśglichkeiten der Software und der Plattform (PC mit Windows…) sorgen. Vor allem die Offenlegung des Quelltextes der Software ist zwingend notwendig, um Ăźberhaupt die Sicherheit des Verfahrens beurteilen zu kĂśnnen.

    Damit sich was verbessert mĂźssen IT-versierte Leute wie wir uns ganz einfach als Wahlhelfer melden! Ich war diesmal Wahlhelfer (ursprĂźnglich nicht aus “Hacker-politischen” GrĂźnden) und auch ich konnte (so denke ich) die anderen Wahlhelfer von der Problematik des gesamten Verfahrens Ăźberzeugen. Man stimmte mir zu, dass das aktuelle Verfahren noch verbessert werden muss und war regelrecht entsetzt Ăźber meine Schilderung Ăźber die Vorkommnisse in anderen Ländern/Bundesländern beim Einsatz von Wahlcomputern.

    Grundsätzlich stehe ich trotz Bedenken bei der gegenwärtigen LÜsung der computerunterstßtzten Zählung aufgeschlossen gegenßber. Fßr die Wahlhelfer stellt es doch eine spßrbare Erleichterung dar und das Ergebnis ist wohl korrekter. Das manuelle Zählverfahren ist auch nicht perfekt vom Himmel gefallen, die Prozesse mussten sich ßber Dekaden erst richtig einschleifen und mßssen auch heute noch verbessert werden. Aber man muss die Verantwortlichen auf die Probleme aufmerksam machen, sonst passiert nichts!

    By morn on Mar 4, 2008

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